Freistil….!

Alles selber machen
Neues von Umland Records
umlandrecords.de

Ein neues Label ist wie ein neues Leben. Darauf vertrauend, haben wesentliche Proponenten des Ruhrgebiet-Kollektivs von The Dorf – wie berichteten bereits mehrfach – jetzt auch noch in schöner marxistischer Tradition die Produktionsmittel in die Hände genommen, um, passend zum Dorf, gleich auch noch dessen Umland zu beackern. Alles selber machen, lautet die DIY-Devise. Zur ersten Umland-Veröffentlichung, der Live-Cassette The Dorf made in österreich, konnten wir insofern beitragen, als es Konzerte zum 10-jährigen freiStil-Jubiläum dokumentiert. Eine andere, die knu!-CD vapor concrète, landete im Best-of-Vierer von freiStil #72. Jetzt liegen fünf weitere Umland-Releases vor, drei davon gehen auf die Kappe von Dorfmotor Jan Klare:

Erstens hat er sich ein exquisites Trio gebastelt, RKeT heißt es, er selbst spielt darin Alt- und Basssaxofon, Luc Ex die akustische Bassgitarre und Michael Vatcher die Drums. Straight-forward-Jazz mit einem Herzen aus Punk sondert es aufs Hinreißendste ab, schlüssigerweise nennt es seinen Tonträger ReKorT. Rekordverdächtig energieverschwenderisch geht es zur Sache, entsprechend reichhaltig gestaltet sich das RKeT-Vokabular, nur das Wort Zurückhaltung kommt darin gar nicht vor. An seiner Stelle agiert hier eine homogene, von Lucs treibendem Bass immer wieder herausgeforderte Gruppierung, die wechselweise nach den Sternen und in die Eingeweide der alten Kuh namens Jazz greift. How high is the sky, how deep is the ocean. Zweitens wirft er sich mit dem Punk-Urgestein Alex Schwers auf ein Packerl, um als Frustice die Reiß-, Quetsch- und Belastungsfähigkeit von Basssaxofon und Schlagzeug auf die Probe zu stellen. Das Duo entledigt sich im Untertitel um je einen Buchstaben (Klar & Schwer) und beschränkt sich auch sonst konsequent auf die Essenz, auf das Substrat, auf den klaren Schnaps. Schnörkel aller Art werden nicht geduldet, Firlefanz ist sowieso streng verboten. Keine 25 Minuten benötigt Frustice, um diese Prämissen  unmissverständlich zu formulieren. Und drittens liefert er sich mit Justus Gabriel improvisierte Saxofonduette als About Angels and Animals, kurz AAaA. Klare an Alt- und Bass-, Gabriel an Tenor- und Baritonsaxofon loten auf fern alle verfügbaren Höhen und Tiefen, Engel und Tiere eben, in elektrisierender Zwiesprache aus, nehmen sich kein Blatt vor den Mund, vom Rohrblatt freilich abgesehen, und reizen die Luftsäulen dazwischen hinauf und hinunter bis zum Fastnichts, calamo, weidlich aus.

Der zweite Dorfaktivist ist Achim Zepezauer an seiner Tischlein elektrisch genannten Gerätschaft. Zwölf höchst originelle Songs mit und ohne Stimme serviert er auf der CD-R zentrifuge, teilweise unterstützt von Eglé Sirvydyté, Oren Banai, Pablo Paredes und einem Kinderchor. Zepezauers elektronische Kunst ist es, so komplexe wie eingängige Songstrukturen zu erfinden, zu entwickeln, zu paraphrasieren und zu abstrahieren, Zerlegung und Neuzusammensetzung inklusive. Vom Psychiatrist Ploppy und der Scheinkraft bis zum Prayer Against Itself und zum finalen Abendlob reicht die Palette, die Psycow, das Requiem (for Achim Kämper) und das berührende OH liegen unter anderem auf dem Weg Zepezauers in die Zentrifuge und aus ihr heraus. Das Ganze gibt’s dann in 75 individuell gestalteten Kartoncovers. Großartig! Seine zweite Arbeit,  cardtalk, liegt dem Rezensenten leider nur schriftlich vor, imponiert aber selbst in der Theorie. Darin finden sich eine recycelte CD-R mit vorne Musik drauf und hinten einem gravierten, standesgemäß verschlüsselten Text, beides zugleich abspielbar auf einem integrierten Plattenspieler aus Karton. Ja, Karton. Am besten wird es sein, sich das obskure Objekt der Begierde zu bestellen, entweder über die Umlandwebsite oder über jene Zepezauers mit der zukunftsträchtigen Anschrift kuhzunft.de!

(felix)