Draußen vor der Tür
Neues von Umland Records
umlandrecords.de
Um das Blickfeld vom Dorf auf das es umgebene Umland zu erweitern, hat die Ruhrgebiet-Community unseres Vertrauens das gleichnamige Label ins Leben gerufen und publiziert seither das Schaffen ihrer (überwiegend männlichen) Dorfbevölkerung. Die ganze Posse, im Augenblick der Aufnahme von lux ein 25 Köpfe zählendes Ensemble, versammelt sich in The Dorf feat. N. Letztgenannter fungiert als Gast am Stromruder, man denke dabei an den vorhergehenden Tonträger mit Caspar Brötzmann, und verschafft sich mittels vier mannshohen Verstärkern gleich einmal genügend Raum, hält die dem Ensemble innewohnende Flamme in inner flames am Köcheln, bevor sie ultrahoch erhitzt wird, um sich im zweiten Stück jour zum veritablen Flächenbrand auszuwachsen. Später sollte es stiller werden, ein Himmel voller Geigen umspannt die Atmosphäre, die im Fall von The Dorf immer eine Sphäre des Atmens bleibt, geistesgegenwärtig und mit viel Esprit. Ein Spiel, in dem die Dörfler am Ende, wir schreiben das Stück namens mill, die Mühle zumachen. Fazit: Vier Ausflüge lang ist man im Zuge dieser fabelhaften Platte prächtig unterwegs im Fiat Lux – und es ward Licht.
Der Dorfmotor Jan Klare, als Dirigent der Bigband laut Eigendefinition zuständig für „air movement“, hat als Saxofonist sein ReKorT-Trio (mit Wilbert de Joode, Bass, und Michael Vatcher, Drums) um den Trompeter Bart Maris erweitert und intoniert als Gruppe 1000 1000 anthems to work on a good end. Wir hören von landesüblichem Patriotismus, ganz zu schweigen vom Chauvinismus, befreite Hymnen. Von Grund auf bereinigt, startet das Quartett seine Reise mit unspektalurärem Jazz, geht aber bald über Polka- und Varieté-Anklänge bis weit hinein ins Art-Ensemble-of-Chicago-Land. Es scheppert melodienselig dahin, dass es eine Freude ist. Das hymnische Material, mehrheitlich aus Kanada und aus Kambodscha, punktuell aus China, Syrien und der Steiermark, reicht auf dieser abenteuerlichen Reise bis hin zum utopisch-virtuellen Land Refugien. Ohne den Hauch eines hurrapatriotischen Beigeschmacks fährt man so in viele versöhnliche Richtungen – und kommt final zu einem, wie der Titel schon suggeriert, guten Ende.
The Dorf-Schlagzeuger Simon Camatta betreibt wiederum zusammen mit dem Holzbläser Georg Wissel und dem Kontrabassisten Achim Tang das Trio The Wisseltangcamatta. Auf indes konzentriert man sich auf improvisierten Jazz manchmal fast herkömmlicher, manchmal weit ausufernder Spielart, bleibt – indes – immer kompakt. Der Sound des Trios liegt, wie seine Schreibweise, ganz eng beisammen, man darf an dieser Stelle ungestraft von Homogenität sprechen, von Synergie und solchen Sachen. Wissel operiert meist mutig am (teilweise präparierten) Saxofon und ebenso überzeugend an der (naturbelassenen) Klarinette, Tang agiert mit und ohne Bogen souverän am Kontrabass, Camatta trommelt wie immer aufgeweckt und unberechenbar vielseitig.
Zu guter Letzt geht Bruit, wie sich das Soloprojekt des Dorfbläsers Florian Walter nennt, in die botanik. Näher an der Ästhetik eines Colin Stetson orientiert als an jener von, sagen wir, Sonny Rollins, bläst Walter aus allen Rohren – ohne jedoch, und das ist als Kompliment gemeint, im Powerplay zu verenden. Bruitismus ist ihm zuwenig. Im Gegenteil: Walter haucht in seinem multiplen Spiel so vielen Charakteren Leben ein, wie ihm an Blas- und Überblastechniken zur Verfügung stehen. Und an Instrumentarium, immerhin kommen hier neben dem Alt- und dem Baritonsaxofon noch die Kontrabassklarinette und die reed-trumpet zum Einsatz. Diese Botanik erblüht vor Facetten und Schattierungen, füllt Flächen, erklimmt Plateaus. Florian Walters Spiel strotzt in jeder Faser vor Finesse und Energie. Heiliger Blasius, steh‘ uns bei!
(felix)