AUF WIEDERSEHEN
THE DORF / ACHIM ZEPEZAUER
das ende der kohle (DVD)
Umland / umlandrecords.de
32 Dorfbewohner*innen, Jan Klare (komp), Achim Zepezauer (film)
Schicht im Schacht, Zeche dicht! Ende 2018 war es dann tatsächlich so weit: Das lang angekündigte Ende des Steinkohle-Bergbaus war tatsächlich gekommen. In diesem Fall: Auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop, dem letzten verbliebenen Bergwerk des Ruhrgebiets. The Dorf und sein Elektroniker und Visionär Achim Zepezauer haben Das Ende der Kohle gut drei Jahre früher kommen gesehen – und es musikalisch wie filmisch verarbeitet. Dass sich ausgerechnet die Dorfbewohner*innen darum kümmern, ergibt Sinn: Wer in der Region lebt und musiziert, kommt an dem Grubengold nicht vorbei. Der Live-Soundtrack zu Zepezauers Film wurde (natürlich) in der Künstlerzeche Unser Fritz in Herne aufgezeichnet. Ein Jahr später ging es ins Studio. Das Ergebnis kann sich hören und vor allem sehen lassen. Der 30-minütige Film befasst sich „mit den Rahmen-Bedingungen künstlerischer Arbeit und auch der Arbeit im Allgemeinen“, heißt es in der Ankündigung. Und mit beiden ist es in der abgewrackten Industrieregion nicht immer zum Besten bestellt.
Gleich zu Beginn steigt weißer Rauch auf, der sich zum Grauschleier verdichtet und sich über die morgendliche Stadt legt. So viel Ruhrgebietklischee muss sein. Begleitet wird die Szene von einem schweren Rhythmus und vom Zischen, Kreischen und Hupen der Instrumente. Anschließend dokumentiert die Kamera einen Tag im Leben eines Dorfbewohners: Zeitungskauf an der Trinkhalle, anschließend geht es mit der U-Bahn nach Hause. Für das Frühstück werden die Reste zusammengekratzt. Milch und Kaffee sind fast alle, das Brot ist hart, der Tabak fast leer. Improvisieren ist angesagt – ein typischer Morgen im Ruhrgebiet. Als die Tasse mit dem verschimmelten Kaffee umkippt, kommen Farbe und Bewegung ins Spiel. Es geht wieder raus: Wie auf Schienen schweben die abgelaufenen Turnschuhe durch die Straßen, vorbei an Industriebrachen, durch Tunnel und verlassene Schächte. Klischee trifft Realität. Zwischendurch sehen wir zahlreiche Gimmicks. Selbstgebaute Kinderwagen aus Walnussschalen, unbeholfene Zeichnungen und andere Versuche, „Nichtwertvolles“ zu Gold zu machen. Eine Wachsfigur spielt die komplette Szenerie später noch einmal nach, bis zum Ende des Ketchups. Fiktion und Realität verwischen. Real, irreal, scheißegal …
Die Schnitte und Moves sind ebenso wild und unperfekt wie das Leben zwischen Ruhr und Emscher. Die teils getragene, teils hektisch improvisierte Musik fängt das Ganze wieder auf, Fanfaren ertönen ebenso wie melancholische Melodien – ehe es zum Schlussakkord geht: Working in a coal mine. Beim Live-Auftritt kommt die Musik wesentlich besser zum Tragen, sie ist nicht mehr nur schmückendes Beiwerk im Hintergrund. Den Musiker*innen – die man endlich auch sieht – bleibt mehr Raum zur Improvisation, der Sound ist dichter und direkter. Neben dem Film/Soundtrack gibt es übrigens noch zwei Bonustracks, auf denen The Dorf dann noch einmal alles zeigt, was es drauf hat: von Kraut über Noise und Free Jazz bis hin zum fetten Bigband-Sound.
Dass Das Ende der Kohle doppelt gedeutet werden kann, versteht sich in einer Region, die sich weiter täglich mit dem „Strukturwandel“ abmüht, von selbst. Daher die Aufforderung: Kauft das Teil, ihr tut euch und anderen einen Gefallen! In diesem Sinne: ein letztes Glück auf!
Holger Pauler