Bad Alchemy #94

Umland (Essen)
Nicht Umlaut, sondern Umland. Als das Umfeld von Jan Klare und der Dortmunder Hofkapelle The Dorf, mit deren „Made in Österreich“ als Start-# 1. Etwas Ähnliches also wie The Korn, wo 2014 als dortige # 02 das RKeT-Debut „RKeT“ erschienen ist, gefolgt nun von ReKorT (Umland Records 3). RKeT, das sind Jan Klare an Alto- & Basssax, Luc Ex an Bassgitarre und Michael Vatcher, der auch schon in Klares 1000 trommelte. Sie loten zusammen ‚Space Suit’Höhen und ‚Descent‘-Tiefen aus, letzteres vielleicht als das ihnen natürlichere Terrain, mit Klares Deep Schrott-Verve und Ex’schem Geschrappe, wobei er sich die Gitarre zur Brust nimmt als wär’s ein Kontrabass, der nur urig tiefe Töne hergibt. Das gibt seinem Spiel einen wortwörtlichen Basso continuoCharakter, um den Vatcher hals- und armbrecherisch herum turnt, und Klare meist Bass singt und wütet als hätte er eine Zunge aus Eichenborke. Erst bei ‚Derwish‘ twistet er auf Alto abgespeckt, sprich, aufgehellt und bei ‚Ground Control‘ auch noch beschleunigt. Vatcher und Ex klöppeln und schnarren dazu aber unverändert knüppelhart und tiefbauwühlerisch. Während sich Ex bei Naked Wolf und (heuer auch in Moers) bei Rubatong mehr im Hintergrund hält, steht er hier, bildlich gesprochen, so nah, das Klare ständig seinen Atem und Druck spürt. Dessen raspeliger Ton macht sogar Sean Bergins ‚Plastic Bag‘ vom Jazztune zum Schwof auf glühenden Kohlen, und überhaupt sind die drei Salamander im Feuer ganz in ihrem Element, mal in der sanften Glut von ‚Break‘ und von Ran Blakes ‚Blues for Wheatleigh‘, mal mit heißen Sohlen hopsend bei ‚Night in Sibiria‘ oder bei ‚Scharzkruit‘, wo Vatcher noch einmal lieber Bock als Gärtner spielt und Klares Basssax den Marsch bläst.

Bei FRUSTICE (Umland Records 4), halb Frust, halb Justice, ist alles klar & schwer. Wobei Jan Klares Basssaxophon so klar wie Klosbrühe klingt, und Alex Schwers sich auf Hass, Deichkind, Slime, Die Mimmi’s und Punk im Pott reimt. Er klopft bei ‚Harbinger‘, was Vorbote heißt, einen Herzschlagbeat für Klares efx-gepimptes Basssaxkollektiv. Der von einem Pusteloop mitgetragene Swing von ‚Gummi Twister‘ ist leicht unrund, aber lässt den beiden freie Hand, freien Fuß, um auszuschwärmen in elastischer Guerillataktik. Das dicke Blasrohr ist dabei ostinat moshlustig und flinker als man denkt. Klare kann sämig und er kann groovy, Pustekuchen mit dicken Deep Schrott-Backen. Bei ‚Popper‘ fließt sein Ton sogar rückwärts, fasst aber schnell Tritt mit launigem Riff, zu dem Schwers Becken dauercrashen. Mehr als Pöseldorf kommen da Poppers in den Sinn. Bei ‚Wire‘ verwehen perkussive und geblasene Moleküle, Klare wird wieder zum Plural. Die beiden heuer auf der 28. Zappanale – Motherfu*#@%!

Als FERN tat sich Jan Klare mit Julius Gabriel zusammen: Alto- & Bass- meet Tenor- & Baritonsax. Gabriel, 1988 in Berlin geboren, ist inzwischen in Essen ein umtriebiger Dörfler, er pustet in Barry Guys Blue Shroud Band, mischte mit 2kilos &More Tuxedomoon auf, philosophiert mit Das Behälter und in Ikizukuri spielt er mit Gonçalo Almeida (von Albatre und Spinifex). About Angels and Animals (Umland Records 5, 10″) hebt an als cladoxyles Geheul, dämpft sich psilotiv zu trillernden Kräuselwellen, die iridop aufwallen, Klare ostinat und urig einsilbig, Gabriel kontrapunktisch und erzenglisch. Dann: remember the ‚Calamo‘, eine Schmauchspur, ein fernes Surren, das aufhellt für den Silberstreif ‚Maratti‘, ein zartes, irisierend tändelndes Versprechen. Mit ‚Sphen‘ kommt Tempo auf, pulsierend und hymnisch ululierend. ‚Polypodi‘ träumt zuletzt ganz lyrisch, hält sich und Vieles in der Schwebe auf dem Weg vom Wurm und vom Affen zum… Bis ein ominöses Paukengrollen die evolutionären Illusionen abmahnt.

ACHIM ZEPEZAUER hieß nicht immer so, aber er beerdigte sein Kämper-Sein für das kuh- & knu!zünftige Cowboy-Sein mit The Dorf in Dortmund, mit Gabriel & Co. als Das Behälter und überhaupt als Elektro-Bastler und Kunststückemacher mit der Neigung zum Unikaten. Mit „discussions”: fun medicine? Pavel Arakelian œ Achim Krämer œ Carolin Pook heuer auch in Moers, deckt er hier schon mal sein Tischlein mit Zentrifuge (Umland Records 6, 75 CD-Rs mit individuellem Artwork). Er bettet einen auf die Couch einer ‚Psychiatrist Ploppy‘, lässt einen Stimmen riechen, Farben hören, hält das innere Chaos mit Maschinenbeatsteppnaht zusammen. Ein Schädelbohrer setzt ‚Scheinkraft‘ und die Critters of our mind frei, es hubschraubert im Hirn, ‚Loch Nowhere‘ spuckt ‚Rätsel‘ über Rätsel aus, Lamentieren hilft ebenso wenig wie Beten gegen glissandierende Fliehkräfte und das Mahlwerk artifizieller Machinationen. Computerstimmen beklagen ihr Elend, HAL 9000 und die Folgen, die Kunst ein Notfall, die Religion lallender Dadaismus, Himmelfahrt als Rohrkrepierer. Die Botschaft? Ein plunderphonischer Kladderadatsch, babylonischer Nonsense und unknown forces überall. People Like Us, Ergo Phizmiz und die Folgen. Labialpopcorn. Die Frage ist nur, ob weißichnicht oder scheißegal. ‚Requiem‘ spielt Squash à la The Caretaker mit verrauschtem De profundis-Chor. Bei ‚OH‘, verrückte kleine Welt, singt Eglė Sirvydytė (von mmpsuf) ganz elegisch zu Afrobeat und Chorus. Ein Mitbringsel von der Baltic Tour 2016 mit Florian Walter? Bei ‚Prayer Against Itself‘ lappt die Sintflut gegen die Rolläden, im allgemeinen Fluchtchaos raunen Abgesänge rückwärts. Was nützt der salbungsvollste Ton, wenn kakophon das letzte Stündlein schlägt.

KNU! mit dem ’50 Shades of I don’t give a Fuck‘-Humor ihres „My Horse doesn’t give a Shit“ (Unit Records, 2015) kehren wieder mit Vapor Concrète (Umland Records 8) und so Gewitztem wie ‚Angelika Niest Hier‘ und ‚Pike Matton‘. Gesundheit, Frau Niescier, mach doch mal den Patton, Mike. Und wo jetzt die AfD Deutschland rocken will, kann man genau so gut mit Simon Camatta (drums), Florian Walter (barisax, synth) & Achim Zepezauer (tischlein elektrisch) den ‚Improvinzialismus abfeiern wo immer man ihn vorfindet‘. Zepezauer & Walter lieferten mit der 7″ „Hell / Bruit“ schon die Umland-# 2. Hier wird Walters röhrender Knatterton breakbeatverzuckt, schrottbescheppert und videospielerisch aus allen Rohren und Winkeln beschossen. Zepezauers Duktus ist scratchomanisch und comicstripsodisch, seine Rillen oder Speicher quellen über vor spritzigen Kürzeln und witzigen Pixeln. Walter macht dazu den Wild Man of Saxenhausen. Camatta ist im Dunkeln kaum von einer durchgeknallten Drummachine zu unterscheiden, alternativ lässt er einen Korg MS20 durchdrehen, bei ‚Beauty Parlor‘ klingelt er aber auch wie mit Triangel. ‚Bruce Palace‘ ist das Werk eines deliranten Orglers. Überhaupt geht es hier manisch zu, mit schnellstmöglicher Rasanz, umgebremster Frequenz. Es geht um Fleisch und Keuschheit, um Intimitäten mit dem Grotesken, mit Kirchentag- und Prolltonfall, vertrillert, verhackstückt und verschmiert, eher mit Wiederholungs- als mit Waschzwang. Das Bariton klingt elektrisch verzerrt, Sprachfetzen sind verhaspelt oder komisch gedehnt. Aber egal wie, komisch wird’s immer, selbst wenn sie diesmal nicht ‚Je suis Böhmermann‘ anstimmen.

Cardtalk (Umland Records 9, 200 Einzelstücke) bringt, als bisher tollste Erfindung von ACHIM ZEPEZAUER, graphisch codierte CDs, analog abspielbar über Plattenspieler, die aus der Kartonverpackung gebastelt werden können. So wird, ohne Strom!, die CD wird von Hand gedreht, kryptographische Spionage-‚Poesie‘ hörbar: Spricht er zu dir, so satt le das Pf erd. Nichts i st leiser al s die Ungeborenen. So k l i ngt Stil le. Die Ax t im Haus sind Fehler, die zu mass ieren sind. Die Kartonophonie klingt wie die allerersten Phonowalzen von Edison. Dem geheimnislosen Digitalen ein Schnippchen schlagen, aus Zukunft wieder Kuhzunft machen. Solche Sympathy for the Außergewöhnliche macht Umland zu einer Heimstatt für Freakdom jeder Couleur. Wohl dem, der solche Heimat hat.
Rigobert Dittmann