Rigobert Dittmann in Bad Alchemy on Tunnel & Meadow, Simon Camatta

I (51), schlicht 1 haben TUNNEL & MEADOW benannt, was Werbung für die Schweiz sein könnte, aber vermutlich nicht ist. Trotz des vierfachen Lockrufs ‚Saas Fee‘, ‚Livigno‘, ‚Zer­matt‘, ‚Davos‘. Aber die Postkartenmotive mit blauem Himmel, grünen Almen, weißen Pis­ten sind zerschnitten und von Finsternis und einer Sintflutwoge bedroht. Jan Klare (Reeds), Serge Corteyn (Serge und die Unterwasserwanderer und mit Klare in Staub an Guitar), Johannes Nebel (Basspartner des Gitarristen Achim Schif und mit Simon Camatta bei FC Fritsche oder im Love Quartet) und Marvin Blamberg (Drummer von AG Form und mit Schif & Nebel als The Trif) haben bei allen Verflechtungen noch etwas Größeres gemeinsam – The Dorf. Hier kosten sie ‚The Joy of Repetition‘ bis zur Neige aus. Mit einer ostinaten Folge schneller Hornstöße, die Klare, von drei beständig loopenden Motiven umkreist, mit be­eindruckender Ausdauer und Monotonie durchzieht, wobei ihm zwischendurch der Gaul durchzugehen oder die Spucke wegzubleiben droht. Mit ja wohl doch Schweizer Uhrwerk als Denkanstoß, aber in sturerer Konsequenz als selbst Nik Bärtsch’s Ronin. Klares selbst­gestellte Aufgabe ist einerseits eine undankbare, besticht aber dennoch als Tour de force. Bei ‚Livigno‘ kann er sich flötend etwas lockern, zu tagträumerischer Gitarre und der Bass­gitarre als Murmeltier, der Sture und Eineinhalbtönige ist nun Blamberg mit blechernem Tamtam. ‚Zermatt‘ überrascht mit üppigen Dauerwellen, schnell saxenden in stupender Zirkularatmung, denen das geduldig beklopfte Saitenspiel medium und slow hinterher­wallt, wobei sich der Gitarrensound wie Gummi dehnt. Da wo’s einst Hans Castorp in Traumschnee und großem Stumpfsinn gefesselt hielt, kreisen nun vier olympische Ringe einen munteren Kanon, Bassklarinette und Gitarre als Wanderer und Schatten, Call und Response. Ein Lob der Beharrlichkeit? The Joy of Stupor? Von Teamwork, bei dem eins ins andere greift und die Dinge des Lebens in Gang hält? [BA 113 rbd]
 
This is not a solo record (54) collagiert ½ a year in the life of SIMON CAMATTA als Drum­merboy, zuhause im Proberaum, beim Joggen oder Altglas entsorgen. Und on the road: Mit St. Kirchhoff und seinem Banjo als Handsome Couple in Versmold, allein auf The Düssel­dorf Düsterboys Halloween Party, @ Kleine Alleein Moers mit Vincent von Schlippenbach (DJ Illvibe) an Turntables oder zu viert mit noch Kevin Shea & Matt Mottel von Talibam! an E-Drums & Keys. Die Rhein-Ruhr-Region um Essen, D, DU und DO bis rauf ins Münsterland und Richtung Bremen und Hannover, das ist Camattas Revier, mit The Dorf, dem Essener NoiseDubEnsemble E.N.D.E., wobei für ein Rendezvous mit Julia Brüssel auch mal ein Sprung nach Berlin drin ist. Bei seinem Rappeln und Knattern bedeutet Rhythmik löchrige Gegenwart – mit entsprechenden Becken. Was lakonisch lässiges Grooven ebenso wenig ausschließt wie die loopende Wiederkehr des Gleichen. Um es zu zerdeppern, zu verwir­beln, treppauf-treppab ad absurdum zu treiben. Für ’ne besondere Partystimmung, wo’s im Oberstübchen klappert, klingelt, dongt, wo π sich vierteln lässt, wo’s im Unterbau dudelt und fudelt, mit scratchenden Fingern, spitzen Keys oder vokalen Illvibes, wo’s rollig paukt, hopt, tackt und tockt. Das Banjo schrappelt, Schritte schlurchen, Vinyl knistert und brodelt hinter geschlossenen Augen, Autos dopplern, die Hände flattern. This ain’t a hate thing / It’s a love thing. [BA 113 rbd]

Dorf + Umland demands:

clone Rigobert Dittmann!

Umland Records (Essen)

Achim Zepezauer gibt mit seinem Kopffüßer-Artwork einen stupenden Blickfang für Von einem der viele(47), die 7-teilige Serie von Posaunensolos des mit Check Test Check und The Dorf als Umlandler und mit Matthias Muche als Bonecrusher bekannten MORITZ AN­THES. Wie die Oberlippentänze von bis zur Unterlippe in Bizarrerie stehenden Seltsam­keiten beschreiben? Zepezauers honorig barocke Achtender-Aliens bieten sich metapho­risch an, um das mopsige Staccato, das rahmsoßige Legato und den ganzen überblasenen Mampf ans Licht zu zerren. Mit all seinen pachydermen Krusten, Pfauenrädern, hornochsi­gen Blähungen, himmelschreienden Presswehen, seinem Schlabberlook, Moschusduft undDünnpfiff. Anthes platzt im Maschinenraum Essen der Dampf aus allen Nähten, mit mitrei­ßendem Temperament queruliert er sprudelnden Überschuss. Als Spitzmaulnashorn nib­belt er einem ein Ohr ab und kaut und schlürft dran rum. UaUawawawaaa – Blechmanns Serenade wird zum cholerisch tobenden Protestlied, mit melancholischem Ausklang. All das zerrspiegelt sich in Remixen, die Julia Brüssel von ‚Tans‘, Korhan Erel von ‚Lof‘, Ras­mus Nordholt-Frieling von ‚Hekk‘, Malte Hermsen von ‚Flatt‘, Zepezauer von ‚Studd‘ und Kai Niggemann bzw. Florian Zwissler von ‚Bien-Larm‘ & ‚Ate‘ angefertigt haben. Mit brodeligem Grummeln, sirrenden Kaskaden, Messingbeben, klackend akzentuierten Dröhnwellen, dumpfem Unterwasserbeat, so dass aus einem Unikum orchestrale und plurale Mutanten­power aufquillt. Rasantes Gezuckel verleugnet seine posaunistische Abkunft fast ganz, Shapeshifting erscheint als das neue Normal. Die Posaune geistert plattgewalzt quäkend zwischen Gezwitscher und Stadtverkehr, sie röhrt und wabert als Blechriss- und Mattglanz­multiple. Im Übermix implodiert sie zum bruitistisch spotzenden und pulsenden Phantom. Und findet sich zuletzt wieder als metalloide Klangmolekülkette, angeraut und wie mit Tabla rhythmisiert. Kein Wunder, dass es da die Zeitangaben völlig durcheinander haut. [BA 113 rbd]

Während Officer! für „Paragaphs and Principles“ den engagierten Cornelius Cardew ak­tualisierte, werkelte THE DORF für Protest Possible (50, auch als 100 x 12“ + 7“ + 12 p book­let special ed.) an einem Update von Protestliedern, um dem zynisch auf- & abgeklärten Zeitgeist Kontra zu bieten. Die Texte bezogen sie von der Frankfurter Dramatikerin Lisa Danulat, dem Musikjournalisten Wolf Kampmann, der Hörstück- & Klangcomicmacherin Natascha Gangl („Wendy Pferd Tod Mexico“, „Die Revanche der Schlangenfrau“), Jan Klares Bruder, dem Allroundautor Jörn Klare und der sozialistisch-feministischen Galions­figur Laurie Penny. Sarkastische Prosecco, Pro Sieben, Protest-Rollenprosa wie siri sag mir mal: can self-love ensure my survival under capitalism? Selbst anagrammatisch muss das Selbst ständig es selbst sein. In rauem Weimar-Kabarett-Stil gekräht: Fünf Generatio­nen in Zeitraffer – Siegfriedlinie, Barbarossa, Coca Cola, Venceremos, McDonald, Geiz ist geil, Playstation, Müllplatz Erde, Fake News, Bienen ausgesummt, demnächst Soylent Green? Wie einst der ‚Leib Christi‘ zergeht nun, werbespotspöttisch, ein ABC von Drugs auf den Zungen und zerlöchern jeden zusammenhängenden Gedanken. Peter Maffays Du bist alles, was ich habe auf der Welt ist liebessklavisch umgedichtet auf Alexaaa und Siri, mit Fuck You Scheiße-V-Effekt. Allerdings schert sich nur das jazzrockhymnisch getragene ‚Tyrannenlied‘ vom Menschenfänger mit seinen Kreuzreimstrophen anders als die überge­scheite Prosa zuvor um Mitsingsimplizität. Doch gleich folgt wieder, sleazy oder staccato intoniert, ein rhetorischer Sermon über den monströsen Spätkapitalismus. Und eine Schland wird Schloch-gewitzte Karikatur von dir und mir als Fashion Rebel oder Couch Potato, mit Akkordeon und wie mit Zappaspirit gezappt. Gipfelnd im naseweisen Leer-und-Lauf-Dreh­wurm von ‚Sehn und Sucht‘ und vom Nicht-Weiter-Wissen, rotierend in gummizähen und behämmerten Blasen. Marie Daniels & Oona Kastner geben den reflexionsakrobatischen Lyrics dieses Agit-Musicals vereinten Biss. Klares elektroakustisch fetzende Blas-Streich-Bigband macht dem neo-royalen Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld mit einem Kaleido­skop hochkomplexer Arrangements und brillanter Sophistication nicht für möglich gehal­tene Konkurrenz. Aber was könnte, was müsste, solange die Blitze, die die Menschen­schänder beim Scheißen treffen, auf sich warten lassen, daraus folgen? A: Platinen löten, B: Drachen töten, C: Porno gucken, D: Aktien kaufen? Äh – – – Publikums-Joker? [BA 113 rbd]