Rigobert Dittmann´s bad alchemy – eine Art Literatur Musik Magazin

Umland Records (Essen)

Was geht, wenn das hier in Deutschland noch gut bestückte Subventionssystem ein­bricht? Was ist diese Musik wert, wo fängt die Liebhaberei (sowohl vom Produzenten wie vom Konsumenten) an, wo hört sie auf. In welchem System sind wir wie relevant? Lauter gute Fragen. Wenn aber zutrifft, dass Corona nur verstärkt und sichtbar macht, was vor­her schon war, dann gehört Kultur – im Sinn von lebendiger Kultur, von Live-Kultur, von Konzerten, Theateraufführungen, überhaupt die bildungsbürgerlichen Distinktionen, das, was den Citoyen vom Spießer unterscheidet… – schon länger nicht mehr zum Distinktions­bedarf. Es genügen Parties als ‚Unterhaltung‘ und Zeitvertreib, als Event kindisch demon­strierter Trotz, außer Urlaub ist alles andre entbehrlich. Anstelle von Nietzsche, Rilke, „Faust“ (oder Schund) im Tornister reichen ’n paar HipHopper im Ohr und die smarte Influ­enza, um sogar besser zu wissen, was Sache ist, dass nämlich der Gates und die Echsen…

Die drei neuen Umland Records pulverisieren jedes ‚File under‘ und spotten dem Versuch einer Zuordnung oder auch nur treffenden Beschreibung. Die einen mit dreifach Synthies, der andere mit nur einem Altosaxofon, die dritten mit Stimme zu Klavier & Synthie. Erstere nennen sich selber MEAT.KARAOKE.QUALITY.TIME und ihr Statement Futura Bold(Umland Records 35, 2×12″). Sie haben es gegliedert in die vier Parts ‚My Body is a Perfect State‘, ‚Deepframing Reality‘, ‚Exil und Tod‘ und ‚Connected Cocooning‘. Und sie mischen, Jan Klare & Florian Walter mit Akai EWI 4000S & Moog Mother 32, Karl-F. Degenhardt (Der verkaterte Stiefel) mit Roland SPD-SX etc., also mit Electronic Wind Instruments, semi-modularen Analogsynthesizern und perkussivem Sampling Pad, ein synästhetisches Et­was aus Blut, Salz und frischem Beton, aus Ekstase und Paranoia, zerebralen und rituellen Tänzen, Farben, Funken, Bergamotte und Anthrazit, Lithium und Lichtung, Cupido und Katharsis, Semantik und Melodie, Heldentum und Verlust. Das Cover zeigt, als foto­realistischer ‚Magritte‘, Schaulustige, die in einer Nahbegegnung der dritten Art ein Ufo begaffen, das allerdings in Gestalt eines riesigen Faustkeils erschienen ist. Eine Vision, die an Einsteins Bonmot über den Vierten Weltkrieg erinnert und ähnlich ins Futurum II vorgreift wie ‚#humans_of_late_capitalism (in memoriam)‘. Die Pad- & Sensory-Beats, der Moog-Groove, der EWI-Sound, die durchgesagten Zahlencodes, die Loopmadness und das Fast Forward sind entsprechend als Sonic Fiction zu bestaunen. Als assoziative Identitäts- und Ruhestörung und Klangfitzel scratchendes, zuletzt ganz funkeliges Angebot, dem was Sloterdijk als Cocooning, Immersion und Nesting in Wonderful-World-Blubberblasen metaphorisiert hat, zu entkommen. In surreale Sphärenverhältnisse, beispielsweise, mit fett gedruckter Ambiguitätstoleranz. Oder in eine utopische Sinngenese durch Widerständig­keitund eine neue ästhetische Grammatik, wie Florian Walter es in einer Art akzelerationisti­schem Gegenentwurf zu Mark Fishers resignativem Nekrorealismus vorzeichnet. Ich geb mir nen Ruck und sortier’s ein unter: ‚zukunftsträchtig‘. [BA 108 rbd]

JAN KLAREs B.C. (Umland Records 36, LP), im November 2019 entstanden, changiert zwischen before Christ und before Corona. Achim Zepezauer hat ihm dennoch, in der Manier von Ror Wolf, ein stacheliges Covid-19-Virus in eine altniederländische Idylle collagiert, aber auch in eine dunkle Gebirgslandschaft. Klare (Konduktor von The Dorf, 1/4 von Deep Schrott etc.) bläst dazu, nicht in the Key of Z, aber doch in the ‚Key of Error‘ sein Altosaxofon. Er kratzt und krakelt an verhärteten Meinungen (‚Scratching the Wall of Opinion‘), er rüttelt einen Götterbaum (‚Shaking Alianthus‘), er klopft (‚Knockin‘ on Sky Cage‘) an die Decke des Käfigs, in dem wir stecken – auch Rajesh Mehtas „Sky Cage“ hat heuer in Moers von einem Geistwesen erzählt, das gefangen in einem käfigartigen Feld steckt. Klare interpoliert zwischen Pfingsten (‚Pentecost‘), dem Santo-Daime-Kult in Brasilien (‚Call Irineu Serra‘), Odysseus (‚Serene Siren‘, ‚Honey Melting‘) und Ikarus, wie ihn Breughel gemalt hat (‚Falling Then Drowning Then Forgetting‘). Mit Klangschlangen, die wie kringelnde Tentakeln aus dem Horn quallen und kraken, wie labyrinthisches Gedärm – so suggeriert es zumindest das Scheibendekor. Mit Tonfolgen in helldunklen Windungen, in stotterndem Stakkato, mit rauen Saugnäpfen, in tremolierenden End­losspuren, in hummelnder Sturheit – ein bisschen Glas, und schon sind Millionen Jahre Evolution fürn Arsch. Verbohrt, naschsüchtig, spotzend, unermüdlich und unerschöpflich stupsend und raspelnd, verstopft bis zur Tonlosigkeit. Singend und tutend in sonoren Intervallen, melancholischen Wellen oder schiefen Winkeln, plörrend in erregten, cholerischen Tiraden, sich in gepresster Klemme Luft verschaffend, runter wühlend, so tief, wie es das Alto hergibt, raufzu kirrend, auf halber Höhe schwankend zwischen Sirren und Surren. Mit iii, uuu und ööö, mit Reibelauten, die auf der Zunge zergehen, mit gemischten Gefühlen. Genau solchen, wie sie Corona in­zwischen als globaler Härtetest eingefordert hat. File under: Lektion in Ambiguitätstoleranz. [BA 108 rbd]

Die Duisburger Vokalistin HANNA SCHÖRKEN ist mit „Filán“ (2016) auf Unit Records zu hören, mit Band, und, allein mit ihrem Mundwerk, mit „You Told Me How To Dance“ (2018) auf Creative Sources und mit „Luma“ (2020) soeben auch brandneu bei Leo. Pink Citrons (Umland Records 37, CD) zeigt sie mit der Pianistin RIEKO OKUDA, die sie 2017 in Berlin kennen­gelernt hat. Okuda hat dort mit Alex’s Hand oder Mia Dyberg gespielt, war mit dem Red List Ensemble ebenfalls bei Creative Sources und mit Quasi Stella bereits willkommen bei Umland. Zusammen entführen sie einen mit insektoid krabbelnder Pianistik und skurrilem Singsang in ein verschwiege­nes Elfenreich, ein hinter elektronischen Schleiern verborgenes Amazo­nien, das hauptsächlich, vielleicht sogar ausschließlich Mädchen und Frauen zugänglich ist. Über irische Songlines, nur für kleine Füßchen be­gehbar. Schörken wandelt darauf und repetiert geheimnisvolle Formeln, stammelnd und lallend. Sie vokalisiert sich auf einer Strickleiter aus Tönen auf- und abwärts, übt sich als künftige Schamanin in Glossolalie und labi-bi-alem Babylonisch. Okuda klopft dazu im Klavierbauch, sie scharrt – what a bitch – am Klavierdraht, sie pingt silberne Töne und pickt kristalline, sie klopft und klackt holzige Laute oder wühlt tönern tremolierende. Beide wissen sie von einem Land, wo die Zitronen pink blühn, sie schwärmen davon züngelnd und zierlich klimpernd, sprudelig klirrend. Schörken tut mit dunklen Kehllauten groß, ihrem Mund entquellen Laute wie geträumt, wie schläfrig gegähnt. Klangbilder wie aus einem zauberischen Märchenbuch, einem Hörbuch ohne Worte, nicht nur für Mädchen, aber doch wie aus der rosaroten Hälfte des Himmels. [BA 108 rbd]